Franz von Gaudy: Ausgewählte Werke – Bd. 1: Venetianische Novellen und Italienische Erzählungen, hg. von Doris Fouquet-Plümacher, Hildesheim: Olms 2020, Ln., 424 Seiten, ISBN 978-3-487-15849-5, 49,80 Euro

Wieder bewährt sich die gewohnte sorgsam betreute Buchkultur des Verlags: beinah fehlerlos und den Vorgaben der Herausgeberin (399f) entsprechend werden die Texte präsentiert – angesichts ihres Unterhaltungswerts leider teuer kalkuliert.
Verdienstvoll scheint die Ausgabe, betrachtet man den dokumentierten verdorbenen und weitgehend verlorenen literarischen Nachlass; die Herausgeberin bedient sich angemessener Editionsprinzipien, indem sie zusammengehörige Texte wieder zusammenfügt und die Schreibweise der Texte behutsam heutiger Rechtschreibung anpasst.
Gaudys Lebenslauf ähnelt in großen Teilen dem Heinrich von Kleists: Beide aus militärischer Tradition stammend, beide in Frankfurt/Oder geboren, verbringen beide notgedrungen einen Großteil ihres Lebens als Offiziere der preußischen Armee. Erst nach 15 Jahren erhielt Gaudy eine bescheidene Pension und konnte den Dienst quittieren. Er war auch ein begabter Zeichner – Spott- und Zerrbilder des Armeealtags werden im Karikaturenbuch 1906 veröffentlicht (20f).
Erst 1934 in Berlin begann seine literarische Karriere, die ihn mit vielen Autoren bekannt machte und zu lebenslanger Freundschaft mit Chamisso führte; er unterstützte diesen in der Redaktion des Deutschen Musenalmanachs (21).
1835 reist er nach Rom, lange ersehnt, aber finanziell bedingt verfrüht abgebrochen, dennoch literarisch ertragreich (24). Eine zweite Italienreise über ein Jahr (1838/39) wird durch Reise- und Lebensbilder bei Cotta finanziert. Die geplante Weiterreise scheitert erneut am Geld (26f).
1840 stirbt er an einem Schlaganfall in Berlin (27f).
Seine novellistischen Erzählungen verraten sein Vorbild: dem 1811 durch Suizid verstorbenen Kleist versucht er den verschachtelten Satzbau nachzuahmen, ohne das Vorbild zu erreichen; bei den venetianischen Novellen wirkt dieser Stil geradezu kontraproduktiv, wenn man sich mündliches Erzählen imaginieren soll, und zudem manchmal dem Verstehen abträglich, weil man gelegentlich erst durch mehrfaches Nachlesen den Zusammenhang zu erfassen vermag.
Auch durchzieht die Erzählungen eine Tendenz zum Schwulst, zur Hyperbolik, die nachgerade die geringere Achtung seines Werks durch die neuere Literaturwissenschaft verständlich machen. Und beinahe autortypisch scheint die Beobachtung, dass Gaudy den dramatischen Höhepunkt seiner Erzählungen an den Schluss setzt.
11 Venetianische Novellen und 8 italienische Erzählungen enthält der vorliegende Band, einschließlich der postum erschienene Titel Baffetto (377ff): alle können in dieser Besprechung nicht gewürdigt werden.
Romantisch bei der Wahl seiner Stoffe sind übersinnliche Ereignisse: so fühlt sich eine steinerne Venusskulptur (Frau Venus) durch den Ehering, der ihr an den Finger gesteckt wird, mit dem Spender verbunden und erreicht beinah erneut den Ausbruch gewalttätiger Auseinandersetzungen verfeindeter Familien (122f), bis der junge Adlige durch klugen Rat den Zauber bricht und seinen Ring wieder erlangt (128f). Die Nähe zu Romeo und Julia ist greifbar. Beinah skurril mutet die Wirkung des Liebeszaubers in der gleichnamigen Erzählung an, als ein Pferd den Zauberkuchen frisst (374ff).
Überhaupt ist dem Autor romantische Ironie nicht fremd ebenso wie die Litotes als wirkmächtige Selbstkritik eigenen Schreibens (40).
Schon die Eröffnung der venezianischen Novellen vereinigt alle geschilderten Merkmale, zumal die vertauschten Köpfe den Höhepunkt der Zaubermotive in Antonello, der Gondolier bilden (57f).
Deutlich merkt man in Villa Tornaquinci (77ff) Anspielungen an Das Bettelweib von Locarno[1], zugleich aber auch den Qualitätsunterschied. Wo Gaudy wort- und detailreich ein Beziehungsgemälde entwirft, begnügt sich Kleist mit Andeutungen.
Das Wiedergängermotiv wirkt hier wie dort zentral.
Stoffliche Anspielungen finden sich auch in Die Braut von Ariccia, in Gaudyscher Manier am Schluss (169f): Diesmal wird mit dem Eifersuchts- und Rachemotiv einer Dreiecksbeziehung gespielt.
Die Gefangenen bieten Gaudy die einzige Basis, ironisch auf die Erählerfiktion zu verweisen und mit der Zuhörerschar zu kokettieren (142f). Der Novellist (39) überantwortet den Schluss seiner Geschichte ironisch den Zuhörer*innen.
Im Anhang finden sich hilfreiche Hinweise zur Edition (391ff), eine ausführliche Bibliographie zum Autor und weiterführende Literatur (408ff).
Kurz: Alle Erzählungen sind lesenswert, spannend und unterhaltsam, wenn man von dem für Gaudy offenbar unentbehrlichen Kitsch – das Überangebot von Details und Stimmungen – und das vergebliche Bemühen, mit Kleist zu konkurrieren, absieht. Der nur lockere Zusammenhang der Erzählungen untereinander lässt auch stöberndes Lesen zu. Als Geschenk für den Nachttisch daher bestens geeignet.



[1] Heinrich von Kleist: Sämtliche Werke. Hg. von Helmut Sembner, München: Hanser 1961, Bd. 1, S. 196ff