Wir haben zwei Söhne (41 u. 43), die beide verheiratet sind und Kinder haben. Sie wohnen so weit entfernt, dass nur Wochenenden oder sogar verlängerte Wochenenden als Besuchsgelegenheiten in Frage kommen; da sie beide beruflich sehr eingespannt sind, können sie es nur selten einrichten und wir bekommen unsere Enkelkindern daher nur in großen Abständen zu sehen.

Wir sind der Überzeugung, dass uns Eltern die Kinder nur geliehen sind; wir haben die Verpflichtung, mit dieser lebendigen Leihgabe sorgsam umzugehen. So lange uns die Kinder anvertraut sind, haben wir die Verantwortung, ihnen bei ihrer Entwicklung helfend und ratend zur Seite zu stehen, aber sie auch schrittweise in die Selbständigkeit zu entlassen. Wir haben dieser Überzeugung durch ein Fest für jeden der beiden nach ihrem Schulabschluss Ausdruck verliehen: Entlassung der Kinder aus der elterlichen Fürsorge. Nur wir vier waren dabei, wir Eltern hielten eine kleine Ansprache und erteilten unseren Segen, und die beiden standen vor einem neuen Lebensabschnitt (Zivildienst und Studium).

Natürlich können wir die Sorge für unsere Kinder und die Verantwortung, ihnen in Not zur Seite zu stehen und nach Kräften zu helfen, nicht ablegen, aber ihre lebensbestimmenden Entscheidungen treffen sie autonom, wenn wir ihnen auch unsere Meinung nicht verschweigen.

Aus all dem folgt: wir kämen nie auf den Gedanken, Dank zu erwarten. Dank als Schuld macht unfrei, und wenn wir keinen Dank erwarten und alles für die Söhne Geleistete als notwendige Investition in gesellschaftliche Zukunft – und in unsere lebendige Leihgabe – betrachten, fühlen wir uns viel beschenkter und reicher, wenn uns auch jetzt noch Wertschätzung und Zuneigung zuteil wird. Zudem: in Familien wird immer wieder vergessen, dass man sich Verwandte nicht aussuchen kann; weder die Kinder ihre Eltern, noch die Eltern ihre Kinder. Es ist ein Glücksfall, wenn man sich in der Familie versteht.

Ich habe in der Sprechstunde oft die Verzweiflung von jungen Menschen gespürt, deren Eltern die monatliche finanzielle Zuwendung mit der Erwartung verbanden, dass diese ihren monatlichen Unterhalt zu Hause entgegennehmen. Absprachen über Dauer und Höhe einer geldlichen monatlichen Unterstützung zur Ausbildung ist sicher sinnvoll, aber diese Absprachen müssen von Vertrauen getragen sein und dürfen nicht mit Bedingungen, die auf die Beziehungen zielen, verabredet werden. Geld darf nicht zur goldenen Kette werden und nicht die Würde der jungen Erwachsenen verletzen. Sie haben i.d. R. selbst den Ehrgeiz, finanziell auf eigenen Füßen zu stehen. Daher sollte man keine Art der Zuwendung – am wenigsten Geld – mit der Erwartung von Dank verbinden.
Der Anlass, diese Überlegungen von 2005 wieder aufzugreifen, ergibt sich durch ein unsägliches Urteil des BGH, der einen Sohn zur finanziellen Unterstützung bei den Pflegekosten seines Vaters verpflichtet, obwohl ihn dieser quasi enterbt und Jahrzehnte lang regelrecht gemieden hat. Es gibt wohl kaum einen schwerwiegenderen Grund für den Sohn eines solchen Vaters, als den Gedanken an eine Unterstützung weit von sich zu weisen. Die Frage drängt sich auf, ob die Richter am BGH selber Eltern sind oder waren.
Ich denke, vielmehr hätten die Richter den Fall zum Anlass nehmen sollen, ihn mit dem Hinweis auf den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes an das BVG nach Karlsruhe weiter zu verweisen: es ist doch ein gesellschaftlicher Skandal, dass die Solidargemeinschaft auf diese Weise die Familie in doppelter Weise bestraft.
Die Eltern nehmen im Alter Einbußen ihrer Rentenansprüche in Kauf, und die Kinder, die sie unter Zurückstellung vieler Annehmlichkeiten gefördert, unterstützt und gemäß ihrer elterlichen Pflicht zu nützlichen Gliedern der Gesellschaft erzogen haben, werden mit dem Problem pflegebedürftiger Eltern in vielfältiger Weise alleingelassen. Und nun höchstrichterlich verdonnert, für die Pflegekosten nach dem Tode der Eltern mit zu haften. Ich finde es bemerkenswert und es macht mich nachdenklich, dass alle Kommentare, die mir bisher in den Medien bekannt wurden, diesen familienfeindlichen Aspekt in dem Urteil vernachlässigen oder ignorieren.